Sunday, February 7, 2010

Die Rolle des Schmucks in der Gesellschaft

Die Rolle des Schmucks in der menschlichen Gesellschaft

von Evert Hofacker (November 2000)

Besuchern von internationalen Schmuck-Ausstellungen, Auktionen oder Museen muss es leicht erscheinen, die Rolle des Schmucks in der menschlichen Gesellschaft zu definieren. Angesichts von schönem Schmuck gekrönter Häupter, wie der von Napoleon III und seiner Frau Eugenie, ist sie einerseits die Reflexion höfischen Lebens, andererseits handelt es sich um Objekte von enormen Wert, wie etwa ein 51 karätiger Diamant, der einstmals Katharina II von Russland gehörte und den Napoleon seiner Frau schenkte. So scheint es, als stellten Pomp und Pracht jenen Rahmen dar, in dem sich Schmuck entwickelt hat, nämlich in absoluten Monarchien, wie die in England, Frankreich und Spanien. Besonders aufdringlich wurde dieser Charakter im bürgerlichen 19. Jahrhundert, das sich zum Nachahmer des alten Feudalismus machte und, wie Osker Wilde treffend formulierte, von allem nur noch den Preis und von nichts mehr den Wert kannte.

Hier müssen wir allerdings sehr deutlich werden: es wäre außerordentlich kurzsichtig, wollte man die Rolle des Schmucks, ausschließlich in diesem Kontext betrachten.

Man muss schon eine weitere Optik benutzen, zurückgehen bis in die Frühgeschichte der Menschheit, um die allgemein menschlich, anthropologischen Wurzeln des Schmucks herauszuarbeiten, ihre Differenzierung in den verschiedenen Gesellschaftsformen. Dazu gehört aber auch eine planetarische Übersicht über Gesellschaften in den verschiedenen Entwicklungsstadien und nicht nur die Beschränkung des Ausblicks auf die europäisch-amerikanischen Industriekulturen und die wenigen Jahrhunderte, die ihnen vorausgehen.

Solange die Menschheit auf unserer Erde lebt, und sei es unter noch so primitiven Umständen, haben die Menschen Schmuck getragen. Ja man kann sagen, das der Mensch lieber nackt als schmucklos ist.

Die Ausgrabungen vorgeschichtlicher Siedlungen zeigen fast mehr Schmuck als Werkzeuge. Insbesonders sind seit jeher Gräber eine besondere Fundstätte gewesen, was zu denken geben muss, denn es war weltweit üblich, dem Verstorbenen das ins Grab mitzugeben, was ihm zu Lebzeiten besonders wertvoll gewesen war und vielleicht auf irgendeine Weise mit seiner Persönlichkeit, sicher aber mit seinem sozialem Rang zusammenhing.

Die Museen der alten frühgeschichtlichen Menschheit im vorderen Osten, in Ägypten, dann aber auch in Griechenland und Rom, ferner in Persien, Indien und China zeigen eine unheimliche Varietät von Schmuck aller Art. Aber auch die präkolumbianischen Indianerkulturen in beiden Amerikas stehen mit ihrem Schmuck hinter den asiatischen und Mittelmeerkulturen nicht zurück, wobei speziell die Inkas neben anderen, ganz außerordentliche Schmuckstücke aus ungewöhnlichen Materialien, wie z.B. kunstvoll verarbeiten Vogelfedern herstellten, von denen einige noch erhalten sind.

Wenn man sich diese Dinge vor Augen hält und mit entsprechenden Produkten aus modernen primitiven Gesellschaften vergleicht, dann wird man schnell gewahr, das außer der Schönheit von Steinen und Metallen und den von ihnen ausgehenden Glanzlichtern, außer der Vorstellung von Seltenheit und demzufolge eines sehr hohen Preises, außer der Faszination durch künstlerisch vollkommene Formgebung noch ganz andere Vorstellungen mitspielen müssen, die für den Menschen der Schmuck trägt, äußerst bezeichnend sind.

Das ist so wahr, das wir an dieser Stelle sogar noch weiter ausholen müssen, um uns dem Problem zu nähern. An Steinen und Metallen sind es zunächst die Farben, die ins Auge fallen. Bei einem Lebewesen wie dem Menschen, der weitgehend visuell ausgerichtet ist, kann man unterstellen, das das Farbphänomen, das auch einen Teil der Tierwelt bestimmt, eine besondere Rolle spielt. So haben die modernen Verhaltensforscher herausgefunden, das es jeweils eine besondere Bedeutung hat, wenn eine Tierart eine bestimmte, besonders auffällige Farbe aufweist, oder auch nur Farbtupfen am Kopf oder an der Seite, so wie z.B. häufig bei Fischen; oder wenn ein unauffällig gefärbter Vogel z. B. einen tiefroten oder knallgelben Schlund hat, der dem Jungvogel sichtbar wird, wenn er gefüttert wird, und automatisch spezielle Reaktionen bei ihm in Gang setzt. Die Verhaltensforscher sprechen hier von Auslösern, die bei den von diesen Farben beeindruckten anderen Exemplaren der eigenen Gattung eine Anziehung oder bei Exemplaren anderer Gattungen eine Schreckreaktion auslöst.

Ferner kommen diesen Auslösern sehr spezifische Funktionen bei der sexuellen Annäherung und Werbung zu; man kann geradezu von arterhaltenden Funktionen sprechen. Auch komplexere Symbolfunktionen lassen sich hier aufweisen, wenn etwa zwei Fische im prächtig leuchtenden Hochzeitskleid ins Kämpfen geraten und der Unterlegene innerhalb weniger Sekunden alle Farben verliert ! Die Ausstrahlung des Farbkleides wird hier ausgesprochen zum Symbol überlegener Macht; der Unterlegenen wird, wie man sagt „klein und häßlich“ und dokumentiert damit gewissermaßen einen spontanen Standesverlust.

Schalten wir von der Tier- auf die Menschenwelt, dann versteht man plötzlich die tieferen Hintergründe der in den verschiedensten Formen auftretenden Luxusverbote und Kleiderordnungen.Diese erwachsen genau aus der eben besprochenen statusschaffenden Funktion von Kleidung, Farbe oder Präsentation gewisser Wertgegenstände. Die genaue Farbe und Breite der Streifen an den Tuniken römischer Senatoren war jeweils nach ihrem Rang genau festgelegt. Schmuck verleiht nicht nur Rang, der einmal erworbene Rang strebt auch danach, sich in Schmuck zu dokumentieren.

So sind sicher die primitivsten Schmuckformen entstanden, indem sich etwa ein besonders geschickter Vogeljäger als Trophäe eine Feder ins Haar steckt, ein Tierjäger sich das Fell als Schmuck umhängt. Aber auch Zähne (Elfenbein) Klauen, Hörner, Ohren, Schwanzquasten, Haarbüschel, Fellstreifen oder gar ganze Tierköpfe oder wenigstens die Schädeldecken u.a.m. werden spontan als Schmuck benutzt, schließlich auch Knochen, z.B. Unterkiefer von Tieren oder Menschen, die man am Ober-oder Unterarm trägt, aber auch Muscheln, Korallen und anderes Seegetier.

Wenn diese Schmuckformen, die überall in der Welt immer neu entstehen, schon eine gewisse Dauerhaftigkeit beweisen, die man zumeist als eine gewisse Voraussetzung für den Schmuck im eigentlichen Sinne ansieht, so gibt es zahllose andere, wie Blüten, Früchte, Blätter, Ketten von Blüten, wie sie heute noch überall im fernen Osten, z.B. in Bali, aber auch in der Südsee, die höchst kurzfristiger Natur sind, und trotzdem immer wieder zu bestimmten Gelegenheiten konventionell getragen werden. Von ihnen bleibt natürlich keine Spur erhalten, aber wir dürfen gut und gerne vom allgemein-menschlichen Schmuckbedürfnis darauf schließen, das die Menschheit sich seit jeher solcher Schmuckformen bedient hat, wie sie dies in den tropischen Ländern auch heute noch tut. Schmuck muss nicht in unserem Sinne wertvoll sein, um Träger eines kulturellen Wertes zu werden und zu schmücken. Das ist erst eine höchst kulturell, sozial und politisch vermittelte Ableitung des ganz ursprünglichen Schmuckbedürfnisses.

Es gibt aber auch Schmuckformen, die dem Menschen derart dicht auf die Haut gehen, das er sie buchstäblich auf der Haut trägt. Dazu gehören alle Arten von Tätowierungen, aber auch das Durchbohren von Ohrläppchen, der Nasenscheidewand oder der äußeren Nasenwand zum Befestigen des Schmucks. Wir nennen das heutzutage „Piercen“. Früher war das Tragen von Diamanten in der Nase indischen Frauen vorbehalten, jetzt ist es Topmode bei jungen Menschen rund um den Globus. Das Tragen von Ohrschmuck bei Männern ist keineswegs eine aktuelle Erfindung. Schon Rembrandt trug in jungen Jahren Ohrringe, die er später im Alter ablegte, weil sie allergische Reaktionen hervorriefen. Andere Schmuckformen dieser Art sind Frisuren aller Formen, die das Anbringen von Nadeln, Spangen Kämmen und Kronen erlauben; so tragen nordamerikanische Apache-Indianer bei einem bestimmten Tanz, der die Nachtgeister beschwören soll, vielhörnige Aufsätze auf dem Kopf.

Interessanter für uns, weil in eine andere Dimension führend, sind aber jene Schmuckformen, die unmittelbar auf der Haut aufgebracht werden, sei es im Sinne von Farben oder Zeichnungen, die unvergänglich sind, sei es in Form von Kerben und künstlichen Narben der Haut, die ein Leben lang vorhalten. Solche Tätowierungen, heute sagt man Tatoos, können mit größter künstlerischer Sorgfalt aufgebracht werden und waren auch der ältesten Menschheit schon bekannt, wie die zahllosen Mumienfunde beweisen, an denen Tätowierungen noch sichtbar waren. Dazu kommt noch gelegentlich, wie etwa in Peru,das Umpressen der Schädel kleiner Kinder, um eine besonders beliebte Kopfform zu erreichen; oder das Ausschlagen, Anspitzen, Färben oder Durchbohren von Zähnen. Fragt man die Betreffenden, warum sie sich z.B. die vorderen Schneidezähne ausschlagen, so antworten sie etwa, man wolle einer Wolke ähnlich sehen, die in der Mitte dunkel und an den Seiten hell ist. Forscht man weiter nach, dann erfährt man noch, das der Mann zum Wolkenclan gehört. Damit stoßen wir auf ein ganz anderes Element des Schmuckbedürfnisses, nämlich die soziale Identifizierung als Angehöriger einer bestimmten Gruppe.

Von hier aus erhalten plötzlich auch Tätowierungen eine ganz andere Bedeutung; sie sind keineswegs beliebige, dekorative Zeichnungen, sondern sind durch Sitte genau festgelegt. Dem Eingeweihten bedeuten sie etwas, d.h. sie sind ein Symbol der Identität einer Person. Man darf bei der Deutung dieser Symbole nicht den Fehler machen zu glauben, dass die Bilder in unserem Sinne etwas bedeuten müssten, auch diese Bedeutung sind konventionell genau festgelegt. Das ist der eine Punkt; der andere aber bleibt der wichtigere, das alle Zeichnungen Bedeutungen haben, wenn auch im kultisch-regiöser Funktion. So betrachtet, erscheint auch der einfachste Schmuck eingebettet in vielfältige kulturelle, soziale und politische Zusammenhänge, von denen man nichts ahnt, wenn man den Schmuck in unseren Museen betrachtet. Man sieht daraus, das man unter Umstände das Wesentliche verpasst, wenn man diesen Schmuck nur ästhetisch bewertet. Auch werden diese Probleme in den meisten Schmuckentwicklungen überhaupt nicht berührt, sodass auch beim modernen Schmuck sehr wichtige kulturelle und soziale Aspekte nicht ausreichend wahrgenommen werden. Ich komme später darauf zurück.

Wir müssen dabei einfache anthropologische Motive wie etwa die Auszeichnung von kulturell komplexeren Motiven sozialer, kultischer und religiöser Natur deutlich unterscheiden. Das Auszeichnungsbedürfnis ist dabei zunächst der Ausdruck des Willens, anders sein zu wollen als die anderen. Allerdings ist die Reichweite dieses Andersseinwollens als anders recht beschränkt. Die Anderen müssen nämlich die Auszeichnung nicht nur verstehen, sondern sie müssen sie darüberhinaus auch noch anerkennen. Eine Auszeichnung im stillen Kämmerlein gibt es nicht. Ausgezeichnet ist man immer nur vor anderen Menschen. Die Auszeichnung will zur Welt, so übersetzt sie sich zur Wahrnehmung durch Dritte in optische Reize. Auch hierzu später mehr.

Es gibt, wie gesagt, komplexere kulturelle Motivationen, die gerade bei der Entstehung und Entwicklung des Schmucks eine bedeutende Rolle spielen und überdies in der menschlichen Gesellschaft geradezu den Rang von Institutionen haben. Sie finden sich in großer Verschiedenheit, aber mit gleicher Konstanz von Institutionen in praktisch allen bekannten Gesellschaften. Dazu gehören vor allem die Trophäen aller Art, wie wir sie bereits besprochen haben. Ferner müssen hier zb. Amulette erwähnt werden, die den Träger vor irgendwelchen Gefahren schützen sollen; Talismane aller Art wie Halsketten mit Kreuzen sind sehr verbreitet. In Italien oder auf dem Balkan wird ein Eberzahn in Gold oder in Silber gefasst zu Schutz gegen Vampire getragen. Ein Anhänger mit einer Hand mit dem ausgestreckten kleinen und Zeigefinger und dem Daumen, der die beiden anderen Finger umfasst: die bedeutet „ Hörner (le corna), die das Böse abwehren sollen, wie in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel die Hand der Fatima in großen und kleinen Ausführungen, aus mehr oder minder wertvollen Materialien. Amulette sollen schützen; Talismane haben eine ähnliche Funktion, aber sie dienen dazu bestimmte Fertigkeiten oder Tätigkeiten lebendig und kraftvoll zu erhalten, z.B. die handwerkliche-künstlerische oder sexuelle Potenz. Schmuck erwächst aber auch aus ausgesprochenen Zaubergeräten; hier spricht man von Fetischen, bei deren Herstellung häufig eine enorme Kunstfertigkeit aufgeboten wird. Dabei ist es nicht nur das Material und seine Gestaltung die zählen, sondern auch die Einhaltung bestimmet heiliger Regeln bei der Herstellung. Insgesamt muss gesagt werden, das der eigentliche kommerzielle Wert des verwendeten Materials in unserem Sinne kaum eine Rolle spielen muss, sondern vor allem bestimmte Glaubensvorstellungen, die kulturell festgelegt sind, also die soziale Bewertung und nicht ein vermeintlicher Wert an sich. Die für uns geradezu unvorstellbar wert vollen Sarkophage aus purem Gold, in denen die Mumie des Tutenchamon verborgen war, bedeutete für die Ägypter keinen besonderen Wert, da sie über Gold in Hülle und Fülle verfügten, wohl, aber die intarsierten Lapis-Lazuli, die aus dem fernen und wilden Afghanistan stammten und nur unter größten Gefahren beschafft werden konnten.

Neben den im praktischen Sinne unnützen Funktionen von Amuletten, Fetischen, Talisnamnen usw. treten manchmal realistische Gesichtspunkte hervor, indem etwa Werkzeuge, allerdings in verkleinerter Form getragen werden. Wenn man bedenkt, das die Wirksamkeit eines Werkzeuges meist auf magische und nicht auf technische Eigenschaft zurückgeführt wurde, so bleibt hier der Fetischcharakter im Grunde erhalten. Das wichtigste Werkzeug in einer entwickelten Gesellschaft aber ist das Geld. Es bestätigt das eben Gesagte, wenn auch Geld in Schmuck umgewandelt wird, indem man es auf Kleidung nähte. Ein Verfahren, das seit ältesteten Zeiten bis heute erhalten ist.

Lassen Sie uns zwischendurch festhalten, das es ein gutes Bild von der Macht des Schmuckbedürfnisses in der alten Welt gibt, wenn man bedenkt, das der internationale Handel außer mit Salz, das auf der Erdoberfläche sehr ungleichmäßig verteilt aber lebensnotwendig ist, sich vor allem mit Steinen und Metallen befasste, die für die Herstellung von Schmuck benötigt werden.

Mit der Entwicklung kosmologischer Vorstellungen entfalten sich ganze Klassifikationssysteme von Steinen , Pflanzen, Tieren, und Metallen, die zueinander in einem engen Bedeutungsverhältnis stehen. Die Chinesen haben sehr komplizierte Klassifikationssysteme dieser Art schon sehr früh entwickelt, ähnlich auch die Sekte der Pythagoräer im alten Griechenland. So geben sich am Schluss kosmische Philosophien, die jedem Stein und jedem Metall eine bestimmte Bedeutung und auch Wirkung zuordnen. Zusammen mit den astrologischen Theorien entwickelt sich vor 2 1/2 tausend Jahren die Theorie der Monatssteine, nach der Edelsteine eine günstige Wirkung auf Menschen haben sollen, die in dem Zeichen geboren sind, das diesen Stein entspricht.

Wenn man all das und noch mehr, was dazu gesagt werden könnte, zusammenfassen wollen, so muss man feststellen, dass die wesentliche Rolle des Schmucks in der menschlichen Gesellschaft seine kultisch-symbolische Bedeutung ist. Der kommerzielle und ästhetische Wert kommen erst in zweiter Linie. Allerdings muss auch gesagt werden, dass sich diese symbolischen Bedeutungen mit den verschiedenen Kulturen wandeln. Die sozialen und politischen Bedeutungen gehen allerdings quer durch alle Kulturen hindurch, in dem sie soziale Rang- und Statusindentität vermitteln, auch zum Ausdruck politischer Macht werden, wo es z. B. gelingt solche Gegenstände zu horten.

Hortung ist die primitivste Form des Reichtums, wobei sich auch das nicht im stillen Kämmerlein oder im einbruchssicheren Banksafe vollzieht, sondern regelmäßig in Darbietung des Gehorteten bei bestimmten Gelegenheiten, die unter Umständen selbst politische Bedeutung haben, wie der Abschluss politischer Bündnisse, Staatsbesuche etc. Das führt gelegentlich auch zu Hochstapeleien und Schwindelaktionen. Als die Einwohner der sizilianischen Stadt Segesta die Athener zum Krieg gegen Syrakus verlocken und mit ihrem Reichtum prunken wollten, zeigten sie den Gesandten Athens im Tempel vergoldete Silbergefäße, die sie als reines Gold ausgaben. Ferner halfen sie sich aus mir wertvollem Geschirr und Schmuck und luden die Athener von Haus zu Haus, wo sie jedesmal die gleiche Menge geliehener Gefäße zu sehen bekamen.

So kehrten die Gesandten mit der Nachricht fabelhafter Reichtümer Segestas nach Hause zurück und Alkibiades begann seinen verhängsvollen Zug nach Syracus.

Wo es zur Demonstration kommt, tritt auch sofort Spekulation auf den Plan. Es liegt auf der Hand, dass wir der Entwicklung des Schmucks nicht in allen Einzelheiten nachgehen können; wir müssen uns auf das mehr Grundsätzlliche beschränken, dass die Situation heute betrifft und für uns von Wichtigkeit ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich über eine Entwicklung berichten, die bei den Navajos in Arizona, dem größten nordamerikanischen Stamm untersucht worden ist. Seit ca. 1870 hat dieser Stamm das Goldschmiedehandwerk erlernt und stellt seit ca. 1880 Silberarbeiten mit Türkisen her. Das war zunächst ausschließlich für den eigenen Bedarf gedacht. Die Schmuckstücke waren, wenn man so will, allesamt schwer : schwere Silberspangen mit schweren halb rohen Türkisen, die man mit Hirschleder polierte. Dieser Schmuck war für die Navajo-Männer und Frauen von größter Bedeutung für ihren sozialen Rang. Man kannte auch die Stücke individuell.

Wenn die Navajos einkaufen gehen, was für sie nicht nur eine praktische, sondern auch eine soziale Nebenfunktion hat, dann ziehen sie sich besonders an und behängen sich mit Schmuck. Ein Mann ohne allen Schmuck würde sich ausgesprochen deklassiert vorkommen. Die symbolische Bedeutung also ist hier der soziale Rang. Dazu kommen noch Nebenbedeutungen magischer Natur. Von einer kommerziell-industriellen Auswertung konnte man solange nicht sprechen, bis die Fred Harvey Company, die die Excursionen in den Grand Canyon organisierte, entdeckte, dass man auch bei Weißen mit dieser Art Schmuck Erfolg haben könnte und die Indianer begannen leichtere, billigere Schmuckstücke herzustellen, die den Weissen gefallen und an sie leicht zu verkaufen waren. Mit der aufkommenden Mode begann sich die ursprüngliche Bedeutung des Navajoschmucks vollkommen zu verändern und darum ist dieses Beispiel so wichtig. Durch die totale Kommerzialierung entsteht hier ein spontaner Bedeutungsverlust, indem der Schmuck aus seiner traditionellen Rangordnungsfunktion heraus -gebrochen wird, weil er plötzlich aller Welt zur Verfügung steht. Der Schmuck wird zu einem rein dekorativen, modischen Gegenstand. Schmuck ist am Schluss nicht mehr Navajoschmuck, sondern ganz einfach Schmuck, der die Eigentümlichkeit hat , von Navajos hergestellt zu werden. Es war nur logisch, wenn sich nun auch rein weisse Firmen an den aufkommenden Boom hängten, um auch „echten“ Navajoschmuck herzustellten. Typisch ist, was im Sommer 1970 geschah. Nach einer Schmuckausstellung im Museum von Flagstaff wurde als erster Preis eine Brosche des Navajo Goldschmieds John Hardey mit dem Titel spaceage pin angekauft. Das ist das Endprodukt des Professionalisierungsprozesses. Mit Navajokultur hatte das nichts mehr zu tun. Die alten Bedeutungszusammenhänge sind verschwunden und durch neue des Raumfahrtzeitalters ersetzt.

Die Frage aber für uns ist, sind damit wirklich alle symbolischen Bedeutungen verschwunden oder sind nicht nur einfach auf eine andere Ebene verschoben worden. Die Frage wird sein, ob sich auf dieser neuen Ebene gewisse Bedeutungselemente wiederfinden die uns überliefert und vertraut sind, oder ob die rein kommerzielle Dimension alles Übrige verdrängt hat. Ich möchte meinen, dass das nicht der Fall ist, denn die Probleme des sozialen Rangs tritt auch hier nach wie vor in Erscheinung.

So wird heute dieser erreichte soziale Rang dokumentiert in der Übernahme von Schmuck in jeweils höheren Wertstufen. Das hat allerdings interessante und unerwartete Konsequenzen, die uns noch beschäftigen müssen.

Wenn es einen Grundunterschied zwischen der Sozialstruktur von heute und von früher gibt, ist es die erhöhte soziale Mobilität. In der alten ständischen Gesellschaft waren die Inhaber gewisser Positionen von vorneherein festgelegt. Das gleiche gilt für die kapitalistische Gesellschaft, die lange Zeit Züge der alten Stände-Gesellschaft behalten hat. In den fortgeschrittenen Industriekulturen und erst recht in der sich entwickelnden Dienstleistungs- und Kommunikationsgesellschaft von heute, hat sich das aber ungeheuer verändert. Hier gibt es zahllose hochmobile Elemente, die zwar nicht wie Bill Gates vom Garagenbastler bis zum reichsten Menschen der Welt avancieren, wohl aber vom mittleren in höhere Positionen vorstoßen und das innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit.

Damit beginnt sofort sich ein neues Schmuckbedürfnis bemerkbar zu machen, um den erreichten Rang nach außen zu dokumentieren. Allerdings ist hierbei ein neuer Zug nicht zu übersehen, dass sich nämlich eine höhere Mobilität auch bei der Auswahl des Schmucks bemerkbar macht. Moden hat es zwar immer gegeben, auch beim Schmuck. Allerdings bewegten sie sich genau so langsam wie die alten Rangsysteme.

In einer Gesellschaft, in der das Rangsymstem in dauernder Umformung ist, verändern sich notwendigerweise das Schmuckbedürfnis und die Geschmäcker immer schneller. Noch nicht einmal die früher wirksame Bremse, wonach ein erhöhter Preis eine Verlangsamung des Wandels bewirkte, greift mehr. Meist geht heute ein neues Produkt mit einem höheren Preis einher, weil sich der Schmuck für nächst höhere Ansprüche immerfort wandelt. Das wird besonders deutlich bei den Luxusuhren, deren Durchschnittspreislagen sich zusammen mit einem Designwechsel in den letzten Jahren rasant entwickelte. Man kann geradezu in dem veränderten Produkt eine Begründung für den höheren Preis sehen. Hier allerdings kommt zum Tragen, dass die gerade die teueren Markenuhren wie Patek Philippe, Lange& Söhne, Blancpain, JaegerleCoultre, um nur einige zu nennen, den überlieferten symbolischen Bedeutungs-mustern entsprechen. Männer, die sich ansonsten in ihrer Rolle als Herren der Schöpfung völlig schmucklos genügen, sind plötzlich bereit viel Geld für eine Uhr auszugeben, die ihren sozialen Rang dokumentiert. Dass dabei für Stahluhren einige zigtausend Mark ausgeben werden, beweist um so mehr, das das vorhin Gesagte auch heute seine Gültigkeit hat, denn hier wird ja nicht das Material bezahlt; auch nicht die Eigenschaft als Zeitmesser, sondern sein Wert als Rangabzeichen. Der Mann von Welt trägt heute eben als möglicherweise einzigen Schmuck, eine hochwertige Uhr mit mechanischem Werk, den Mercedes quasi am Handgelenk. Schließlich gilt es als höchst befremdlich mit dem Autoschlüssel einer teueren Marke zu klimpern, um damit in der Öffentlichkeit anzugeben. Mir wurde berichtet, dass die Personalchefs größerer Firmen bei der Einstellung von Führungskräften darauf achten, ob der Kandidat eine standesgemäße Uhr trägt. Träger von billigen Digitaluhren scheiden demnach vorneherein aus.

Ich hatte vorhin erwähnt, dass jede Auszeichnungsfunktion verstanden und akzeptiert werden muss. So kann es durchaus zu sehr ambivalenten Bewertungen kommen, wie im Falle der weltbekannten Marke Rolex, die von ihren Besitzern wie ein Kultgegenstand verehrt wird, für den es sich sogar lohnt, Lieferzeiten bis zu 10 Jahren für eine Daytona in Kauf zu nehmen, von ihren Gegnern hingegen als Zuhälteruhr abqualifiziert wird. Es kommt also zu einer tatsächlichen Konfrontation über die Frage des Auszeichnungswertes eines Produktes.

Marken gibt es auch im Schmuck. Sie begründen sich nicht nur durch ihre Material- und Verarbeitungsqualität, sondern vor allem durch ihre soziale Identifikationsfunktion. Sie müssen allerdings um dieser so wichtigen Funktion gerecht zu werden, ein hohes Maß an Wiedererkennung besitzen; eine eigene Designpersönlichkeit, die auch von Dritten anerkannt wird. So wird billiger Massenschmuck, oft sind es nur Kopien von wertvolleren Vorbildern, die Rolle als Rangobjekt, nicht leisten können, sondern seinem Besitzer nur als dekoratives Accessoire mit einer relativ kurzen Nutzungsdauer Freude machen.

Schmuck hingegen, wie er heute noch vielfach von guten Goldschmieden und Designer erdacht und angefertigt wird, erfüllt auch heute über seinen rein materiellen Wert hinaus, jene anthropolgischen Funktionen, die wir neben den Erzeugnissen der Literatur, der Musik, dem Tanz und der bildenden Kunst als Kultur bezeichnen.

Dabei will ich keineswegs die Funktion des Schmucks als Liebeszeichen vergessen. Das weltweit bekannteste ist wohl der Trauring und dokumentiert die Verbundenheit zwischen zwei Menschen. Auch hier sprechen wir von der sozialen Funktion, die den materiellen und aesthetischen Wert verdrängt. Es ist eine stumme Botschaft, die von schönen Schmuckstücken ausgeht. Mit was in aller Welt kann man Zuneigung besser ausdrücken, als mit Schmuck. Insofern, meine Herren, sollte sie diesen Vortrag nicht als einen hinterhältigen Angriff auf ihre Geldbörse sehen, sondern als einen wohlgemeinten Hinweis.

Fassen wir noch einmal kurz zusammen:

Schmuck entfaltet seine Funktion nicht im luftleeren Raum, sondern im Bereich des Sozialen: Als symbolisches Rangabzeichen, als Liebeserklärung und als besonderer aesthetischer Gegenstand, der wie kaum ein anderer eine unmittelbare Reflexion unserer Gesellschaft ist. Das heißt mit anderen Worten: Schmuck ist auch als ganz persönlicher Gegenstand, nie für einen alleine da, sondern er wendet sich immerfort an andere.

Heute würde man aus diesem Grunde von einer Kommunikationfunktion des Schmucks sprechen. Wie erwähnt, er teilt in der Tat etwas über den Rang des Trägers mit, über seine Rolle, die er in der Öffentlichkeit zu spielen wünscht, über seine Bildung usw. usw. Darum unterliegt der Schmuck dann auch all den Einflüssen und Gesetzlichkeiten, die das Miteinanderleben der Menschen bestimmen. Wenn man sagen kann, dass die Mode der aesthestische Firnis des Lebens der großen Masse ist, so setzt der Schmuck diesem Firnis besondere Glanzlichter auf, die sich wiederum an besonderen Punkten konzentrieren, wo auch das Geltenwollen, aber auch das aesthetische Empfinden der Menschen unmittelbar in Erscheinung tritt.

Der Schmuck ist also nach wie vor eine wichtige Ausdrucksform menschlicher Rangordnungen, wobei sich allerdings die Stile, in denen sich die sozialen Ränge voreinander darstellen, immerfort wandeln. In einer hochkommerzialisierten Welt wie heute, lässt es sich nicht immer vermeiden, dass häufig das Echte neben dem bloß Prätentiösen steht, das mehr vorgibt, als sie auf Dauer leisten kann.

Vielen Dank !

Evert Hofacker

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